30 Jun 2019 Prozessentwicklung für das flussmittelfreie Weichlöten (Teil 1)
Im Gegensatz zum Weichlöten mit Paste ist die Entwicklung eines flussmittelfreien Lötprozesses deutlich umfangreicher und die Qualitätsanforderungen an das Produkt müssen von Anfang an konsequent mit betrachtet werden. Eine Preform stellt dabei ein gewalztes Metallplättchen dar, das ausschließlich aus der Lotlegierung (Lotzinn) besteht. In dieser Artikelreihe werden die häufigsten Anforderungen diskutiert und die systematischen Prozessentwicklungsschritte für das flussmittelfreie Löten aufgezeigt.
Im ersten Teil gehen wir auf die Qualitätsanforderungen an den Lötprozess bzw. das Produkt ein.
Inhalt dieses Beitrags
Es werden die einzelnen Schritte zur Entwicklung eines flussmittelfreien Lötprofils mit Ameisensäure aufgezeigt. Dazu zählen:
- Qualitätsanforderungen
- Lotlegierung
- Reduktionsmittel-Wirktemperatur
- Temperaturmessung: Messdummy und Datenlogger-Fahrten
- Profilentwicklung und ggf. Löthilfen-Entwicklung
- Benetzungstests
- Löttests
- Prozessfenster
- Prozesskontrolle
Qualitätsanforderungen
Für die Entwicklung eines pastenfreien Lötprozesses müssen die Anforderungen an die Produktqualität sowie deren Hintergrund verstanden werden. Im Folgenden werden die häufigsten Spezifikationen des Outputs von Lötprozessen für Leistungsmodule beschrieben und Wege für die erfolgreiche Erfüllung aufgezeigt. Für die Chiplötung (Halbleiterchip auf Schaltungsträger) sind die häufigsten Anforderungen in Tabelle 1 aufgezeigt.
Tabelle 1: Häufige Anforderungen an die Chiplötung
Anforderung | Einfluss auf | Vermeidung durch Beachtung von | Nachweis |
Lunkerfläche kumuliert / Chipfläche | Thermischer Widerstand, Zyklenfestigkeit | Materialqualität, Kontamination, Temperaturprofil, Temperatur-verteilung, Atmosphären, Löthilfen, Vakuum, Verwölbung | X-Ray, C-SAM |
Einzellunkergröße / Chipfläche | Lebensdauer, thermisch (Hotspotbildung) | Materialqualität, Kontamination, Temperaturprofil, Temperaturverteilung, Atmosphären, Löthilfen, Vakuum, Verwölbung | X-Ray, C-SAM |
Lotschichtdicke | Je höher, desto höher Lebensdauer, jedoch erhöhter thermischer Widerstand | Löthilfen, Preforms mit Spacern | C-SAM, Querschliffe, CT |
Verkippung Chip | Lebensdauer, thermische Widerstand, Bondbarkeit, inhomogener thermo-mechanischer Stress | Löthilfen, Preforms mit Spacern, Preform-Stanzqualität | C-SAM, Querschliffe, Laserprofilometrie, 3D-Mikroskope |
Verdrehung Chip / Positionsfehler | Bondbarkeit, Kurzschlüsse, beeinflusste Kriechstrecken | Bestückprozess (z.B. mit Haftvermittler), Löthilfen, Vakuumeinstellungen, Preformqualität | Optische Mikroskopie, automatische optische Inspektion (AOI) |
Chipverbiegung | Erhöhte Lunkerbildung, thermo-mechanischer Stress, verändertes elektrisches Verhalten | Chipmetallisierungen und Herstellung | Optische Mikroskopie, automatische optische Inspektion (AOI), Laserprofiometrie |
Lotspritzer | Kurzschlüsse, Bondbarkeit, Optische Aspekte | Verwölbung der Bauteile, Temperaturprofil, Vakuumeinstellung, Materialqualität, andere Lotlegierung | Optische Mikroskopie, AOI |
Zinnnebel | Optische Aspekte und Einfluss auf Verguss/Mold Anhaftung | Ameisensäure Konzentration und Temperatur, Zeit und Temperatur über Liquidus | Optische Mikroskopie, AOI |
Substratverbiegung | Bondbarkeit, Stress auf Chips, Beeinflusst Lötung auf Bodenplatte oder thermischen Widerstand auf Kühler | Layout, Temperaturprofil, Niederhaltersysteme, Löthilfen, Lotschichtdicke | Haarlineal, optische oder taktile Vermessung |
Toleranzen | Führen zu verringerter Lebensdauer Power Cycling bzw. erhöhtem Ausschuss und großer Streuung der Lebensdauer, Thermische Impedanz Zth | Material, Löthilfen, Manuelle Prozesse | Hersteller, Statistik |
Der Lunkeranteil (Voidrate) ist das häufigste Kriterium für die Chiplötung bzw. Lötstelle. Unterschieden wird dabei in Größe der Einzellunker und Lunkeranteil der gesamten Anbindungsfläche Lunker können vielfältige Ursache haben. Die häufigste ist eine mangelhafte Materialqualität der Fügepartner. Der Nachweis der Voidrate erfolgt meist mittels Röntgenanalyse. Moderne Röntgengeräte beinhalten eine automatische Berechnung des Lunkeranteils auf Basis von Grauwerten oder Kantenauswertung. Wichtig ist eine möglichst fehlerfreie Lotschicht, um den thermischen Widerstand zu minimieren. Zudem wirken Lunker oft als Anriss, wodurch eine Materialermüdung an den Fehlstellen beginnt.
Die Schichtdicke der Lötstelle ist ebenfalls wichtig für die Lebensdauer. Bei zu dünnen Schichten erhöhen sich die thermo-mechanischen Spannungen im Lot enorm, wodurch diese im Betrieb früher zu Ausfällen führen. Gemessen wird die Schichtdicke meist mittels Querschliffen. Abstandshalter im Lot ermöglichen eine Mindest-Schichtdicke.
Die Verkippung von Halbleiterchips wirkt sich ebenfalls nachteilig auf die Lebensdauer aus. Ähnlich wie bei der Schichtdicke, können Abstandshalter eine Abhilfe beim Lötvorgang bieten. Der Nachweis erfolgt wiederum mit Querschliffen.
Verdrehung von Halbleitern kann aufgrund verschiedener Ursachen auftreten. Dazu gehören der Bestückungsprozess, die Preformqualität und die Lotmenge. Ein verdrehter bzw. verschobener Chip führt zu Problemen im anschließenden Bondprozess, da der Drahtbonder den Chip möglicherweise nicht mehr erkennt. Durch die Verwendung von Haftvermittlern beim Bestücken kann ein Verschieben verhindert werden. Die Erkennung erfolgt meist durch automatische optische Inspektionssysteme (AOI).
Chipverbiegung resultiert oftmals aufgrund fehlerhafter Metallisierungen bzw. unpassender Schichtdicken. Über den Lotprozess lässt sich lediglich durch Löthilfen (Andrücken) und kontrollierte Heiz- bzw. Kühlrampen der Verbiegung entgegenwirken. Der Nachweis wird durch eine AOI erbracht. Eine starke Chipverbiegung führt meist zur Bildung von großen Lunkern und somit auch zu Lotspritzern. Werden Lufteinschlüsse mit Vakuum schlagartig aus dem Lot gezogen, kommt es zu Spritzern. Die Spritzer können wiederum zu Kurzschlüssen innerhalb der Baugruppe führen. Die beste Abhilfe besteht in der Ursachenbekämpfung der Lunker. Als zweiter Schritt wird mit den Vakuumeinstellungen gearbeitet werden.
Zinnnebel lässt sich auf eine zu hohe Ameisensäurekonzentration bzw. auf eine zu lange Einwirkzeit zurückführen. Durch die Ameisensäure-Reaktion entstehen Zinnsalze, welche sich anschließend auf den Bauteilen niederschlagen. Bei der Temperaturerhöhung zerfällt das Salz und der Zinnnebel bleibt auf dem Substrat zurück. Der Zinnschleier kann Auswirkungen auf die Anhaftung von Vergussmaterialien bzw. Moldmassen haben und zu Delamination und Voids führen.
Die Substratverwölbung ist stark von dem Layout des Schaltungsträgers abhängig. Diese Verwölbung kann durch Niederhaltersysteme und entsprechende Heiz- bzw. Kühlrampen reduziert werden.
Für die Systemlötung bzw. Kühlerlötung (Substrat auf Bodenplatte oder Kühler) gelten die gleichen Anforderungen wie für die Chiplötung. Tabelle 2 zeigt eine Übersicht. Ein wichtiger Punkt ist dabei die Vorbiegung der Bodenplatte. Um eine gute thermische Anbindung an den Kühler zu gewährleisten, darf diese nach dem Lötprozess keine Verwölbung aufweisen. Durch eine entsprechende Vorbiegung, Niederhaltersystemen und Heiz- bzw. Kühlrampen kann die Anforderung erfüllt werden. Der Nachweis erfolgt mit optischen Inspektionssystemen oder taktilen Messsystem.
Tabelle 2: Anforderungen an die Systemlötung
Anforderung | Einfluss auf | Vermeidung durch Beachtung von | Nachweis |
Lunkerfläche kumuliert / Chipfläche | Thermischer Widerstand, Zyklenfestigkeit | Materialqualität, Kontamination, Temperaturprofil, Temperaturverteilung, Atmosphären, Löthilfen, Vakuum, Verwölbung | X-Ray, C-SAM |
Einzellunkergröße / Chipfläche | Lebensdauer, thermisch (Hotspotbildung) | Materialqualität, Kontamination, Temperaturprofil, Temperaturverteilung, Atmosphären, Löthilfen, Vakuum, Verwölbung | X-Ray, C-SAM |
Lot Schichtdicke | Je höher, desto höher Lebensdauer, jedoch erhöhter thermischer Widerstand | Löthilfen, Preforms mit Spacern | C-SAM, Querschliffe, CT |
Substratverkippung | Lebensdauer, inhomogener thermische Widerstand, Bondbarkeit, inhomogener thermo-mechanischer Stress | Löthilfen, Preforms mit Spacern | C-SAM, Querschliffe, Laserprofilometrie, 3D-Mikroskope |
Lotspritzer | Kurzschlüsse, Bondbarkeit, Optische Aspekte | Verwölbung der Bauteile, Temperaturprofil, Vakuumeinstellung, Materialqualität, andere Lotlegierung | Optische Mikroskopie, AOI |
Zinnnebel | Optische Aspekte | Ameisensäure Konzentration und Temperatur, Zeit über Liquidus | Optische Mikroskopie, AOI |
Bodenplatten-Verbiegung | Erhöhter thermischer Widerstand auf Kühler, thermomechanischer Stress | Vorbiegung, Lötprofil, Substratlayout, Lotschichtdicke | Haarlineal, optische oder taktile Vermessung |
Substratverdrehung / Positionsfehler | Schweißen Lastanschlüsse, Bonden, optische Aspekte | Löthilfen, Temperaturprofil, Vakuumeinstellungen | Optische Mikroskopie, AOI |
Toleranzen | Verringerter Lebensdauer passive Temperaturwechsel, erhöhtem Ausschuss, Streuung, Zth | Material, Löthilfen, Manuelle Prozesse | Hersteller, Statistik |
Doppelseitige Module stellen prozesstechnisch eine große Herausforderung dar. Um den Vorteil der doppelseitigen Kühlung vollständig nutzen zu können, sollte eine entsprechende Planparallelität der beiden Anbindungsflächen an den Kühler gewährleistet werden. Durch den parallelen Einsatz mehrerer Module muss die Absolut-Dicke innerhalb enger Toleranzen liegen. Aber auch bei gemoldeten Modulen muss für das Molden die Geometrie innerhalb enger Grenzen liegen. Für die Erfüllung der Anforderungen sind produktspezifische Löthilfen und Niederhaltersysteme notwendig. Diese müssen entsprechend entwickelt und getestet werden. Dabei spielt das Moduldesign (Anordnung, Größe der Halbleiter, Substratdesign, usw.) eine entscheidende Rolle. Moduldesign, Löthilfen und der Lötprozess sollten aufeinander abgestimmt entwickelt werden.
Tabelle 3: Anforderungen an den Lötprozess für doppelseitige Module
Anforderung | Einfluss auf | Vermeidung durch Beachtung von |
Planparallelität Doppelseitiges Modul | Moldbarkeit, Erhöhter thermischer Widerstand | Löthilfen, Lötprofil, Layout |
Abweichung Absolut-Dicke Doppelseitiges Modul | Moldbarkeit, Thermischer Widerstand zum Kühler | Materialtoleranzen, Löthilfen |
Toleranzen | Erhöhter Ausschuss und großer Streuung des Zth, Streuung Lebensdauer | Material, Löthilfen, Manuelle Prozesse |
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