Statistische Zuverlässigkeits- und Lebensdaueranalyse von Elektronik

Dieser Beitrag beschreibt dein Einstieg in die statistische Zuverlässigkeits- und Lebensdaueranalyse mit dem Beispielen aus der Elektronik. Inhalt sind die Grundlagen von statistischen Verfahren. Dazu zählen Lebensdauerverteilungen für Elektronikbauteile, Hypothesentests und Qualität von Datenmerkmalen. Auch die praktische Datenanalyse ist ein Bestandteil dieses Beitrags. Zusammenfassend finden Sie einige Tipps und Tricks zur statistischen Analyse.

Von der repräsentativen Stichprobe zum Verhalten aller Produkte

Ziel jeder statistischen Analyse ist es, durch wenige Prüflinge (Stichprobe) auf das Verhalten aller Produkte (Grundgesamtheit) rückschließen zu können. Hierfür ist es notwendig, dass die Stichprobe repräsentativ ist. Dies bedeutet, dass die Stichprobe alle Ausprägungen und Gewichtungen der Grundgesamtheit widerspiegeln muss.

Beispiel: Wenn Sie die durchschnittliche Lebensdauer eines Kondensators ermitteln wollen, muss die Stichprobe alle Kondensatortypen, Hersteller, Größen, Bauformen, usw. enthalten, die Sie verwenden wollen. Wird nur ein Typ getestet, ist die Stichprobe nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit aller Kondensatortypen.

Immer wenn durch eine Stichprobe Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit gezogen werden sollen, verwendet man statistische Verteilungsmodelle bzw. Tests.

Lebensdauerverteilungen: Die Streuung der Lebensdauer mit Formeln beschreiben

Bei der Produktion von Bauteilen, Produkten, usw. kommt es zu Schwankungen der elektrischen, physikalischen oder geometrischen Eigenschaften. Wird ein Merkmal (z.B. Kapazität) aller Kondensatoren getestet, so liegen diese Werte innerhalb bestimmter Grenzen mit einer Anhäufung bei bestimmten Ergebnissen.

Die mathematische Beschreibung dieser Anhäufung wird als Verteilung bezeichnet. Die bekannteste Verteilung ist die Gauss- oder Glockenkurve, welche auch als Normalverteilung bezeichnet wird. Diese wird durch den Mittelwert und die Standardabweichung beschrieben. Video 1 zeigt einen Test auf Normalverteilung.

Immer wenn durch eine Stichprobe Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit gezogen werden sollen, verwendet man statistische Verteilungsmodelle bzw. Tests.

Video 1: Test auf Normalverteilung, Quelle Youtube

Für Lebensdauerdaten wird häufig die Weibull-Verteilung verwendet. Während die Normalverteilung symmetrisch ist, handelt es sich bei der Weibull in der Regel um eine schiefe Verteilung. Durch die Variation Ihrer Parameter ist die Weibullverteilung sehr flexibel. Sie wird dabei durch einen Form- und Skalenparameter beschrieben.

Hypothese: Beschwere ich mich bei meinem Zulieferer?

Um mit einer Stichprobe Aussagen über die Grundgesamtheit machen zu können, werden Hypothesentests verwendet.
Grundlegendes Beispiel zur Veranschaulichung: Ihr Lieferant sagt zu, dass ein elektrischer Widerstand 1.000 Betriebsstunden lang funktioniert.

Nullhypothese H0: Die Aussage Ihres Lieferanten stimmt.

Alternativ-Hyptothese H1: Die Aussage Ihres Lieferanten stimmt nicht
Dabei möchten Sie zwei Arten von Fehlern vermeiden:

  1. Die Aussage Ihres Lieferanten stimmt. Sie kommen durch einen Test jedoch zu dem Schluss, dass seine Aussage nicht stimmt und beschuldigen ihn zu Unrecht.
  2. Die Aussage Ihres Lieferanten stimmt nicht. Ihr Lebensdauertest ergibt jedoch, dass alles in Ordnung ist.

Um diese Fehler zu vermeiden ist eine entsprechende Stichprobenmenge notwendig. Über das Alpha-Niveau können Sie zudem Ihre persönliche Risikobereitschaft festlegen. Beispiel: Bei einem elektrischen Bauteil können Sie nur auf in Ordnung oder nicht in Ordnung testen. Die Wahrscheinlichkeit für gut zu schlecht ist damit 50:50.

  1. Sie testen ein Bauteil: n.i.O.: Wahrscheinlichkeit: 50%
  2. Sie testen noch ein Bauteil: n.i.O.: Wahrscheinlichkeit, dass zwei Bauteile hintereinander mangelhaft sind: 50% * 50% = 25%
  3. Sie testen ein weiteres Bauteil: n.i.O.: Wahrscheinlichkeit, dass drei Bauteile hintereinander defekt sind: 50% * 50% * 50% = 12,5%

Ein Alpha-Niveau von 0,05 gibt an, dass Ihre Risikobereitschaft bei 5 %, also ab fünf n.i.O. Teilen überschritten ist und Sie Ihrem Zulieferer nicht mehr abnehmen, dass die Bauteile funktionieren.

Um den Fehler zweiter Art zu vermeiden, werden Trennschärfe-Tests durchgeführt. Hierbei geben Sie wiederum an, wie sicher Sie sich sein wollen, dass dieser Fehler nicht auftritt. Eine höhere Sicherheit erfordert immer einen höheren Stichprobenumfang bzw. eine geringere Streuung der Prüflinge (z.B. Standardabweichung bei der Normalverteilung).

Datenmerkmale: Von i.O/n.i.O. zu physikalischen Messwerten

Für alle Tests sowie deren statistischer Analysen gilt generell: Je mehr Informationen, desto besser. Das Ziel sind immer Zahlenwerte, also kontinuierliche quantitative Merkmale. Die Datenqualität steigt in folgender Liste:

  • Qualitative Merkmale
    • Gut/Schlecht
    • O./n.i.O.
  • Ordinal (Ordnungsbeziehung)
    • Größer/kleiner als…
    • Schulnoten
  • Quantitative Merkmale: Messwerte

Wichtig ist dabei immer Rohdaten zu verwenden und keine bereits gemittelten Werte für die Analyse heranzuziehen.

Praktische Datenanalyse: Graphics first, p-Values second

Verschaffen Sie sich bei der statistischen Analyse immer zuerst mit Grafiken einen Überblick. Zu den typischen Grafiken für den ersten Eindruck gehören:

  • Histogramme bzw. Punktdiagramme
    • Für den rein optischen Eindruck, wie die Daten verteilt sind
    • Gibt es mehrere Berge und Täler?
    • Gibt es Ausreißer?
    • Ist die Verteilung schief oder symmetrisch?
    • Ist die Verteilung rechts- oder links-schief?
  • Zeitreihendiagramme
    • Gibt es zeitliche Effekte?
    • Driften die Daten?
    • Gibt es Ausreißer?
  • Box-Plots
    • Gibt es signifikante Unterschiede zwischen zwei Gruppen?
    • Wie stark ist die Streuung innerhalb einer Gruppe?
    • Gibt es Ausreißer?
  • Streudiagramme
    • Gibt es Korrelationen zwischen zwei Parametern?

Nachdem Sie sich einen Überblick verschafft haben, können Sie mit deskriptiver (beschreibender) Statistik fortfahren. Hierzu gehört die Berechnung von Mittelwert, Median und Standardabweichung. Anschließend folgen meist Verteilungsidentifikationen und Hyptothesentests.

Tipps und Tricks zur Analyse

  1. Definieren Sie zu allererst Ihre Ziele und was genau gemessen werden soll:
    1. Was ist das Ziel des Tests?
    2. Welche Belastung soll der Lebensdauertest genau abbilden?
    3. Was wird gemessen?
    4. Wie wird gemessen?
    5. Was ist das Testabbruchkriterium?
    6. Soll bis zum Lebensdauerende getestet werden?
  2. Sammeln Sie alle Ihre Kenntnisse, Vermutungen und Fragen über die Zusammenhänge zwischen Testparameter und Lebensdauer. Beispiele:
    1. Eine Erhöhung von 10 K Testtemperatur senkt die Lebensdauer um eine Größenordnung
    2. Der Temperaturhub hat den größten Einfluss
    3. Wie ist der Einfluss von Haltezeiten?
  3. Planen Sie die Versuche: Anzahl Prüflinge, Testdauer, verschiedene Testpunkte: Hierfür können die statistische Versuchsplanung und Testpläne verwendet werden
  4. Prüfen Sie, ob Sie mit den Versuchen alle Ihre Fragen beantworten können
  5. Versuchsdurchführung: Prüfen Sie möglichst frühzeitig, ob die Versuche zum gewünschten Ergebnis führen. Vermeiden Sie langwierige Versuchsreihen, die nicht zum Ziel führen
  6. Versuchsauswertung: Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte – Starten Sie immer mit einer graphischen Analyse. Schreiben Sie zu jeder Grafik Ihre Interpretation und Vermutung auf.
  7. Anschließend prüfen Sie mit statistischen Tests, ob Sie diese Interpretationen und Vermutungen bestätigen können.
  8. Verifizieren Sie Ihre Ergebnisse möglichst mit einem weiteren Versuch.

Video 2: Trennschärfe und Stichprobenumfang ermitteln, Quelle Youtube

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